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Día 76: #YoMeQuedoEnCasa

  • Autorenbild: Anne Amaru
    Anne Amaru
  • 23. Mai 2020
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 15. Juni 2020

heißt: „Tag 76: # Ich bleibe zuhause“ und ist die offizielle Bezeichnung des am 16. März 2020 wegen des Coronavirus verhängten „Toque de queda“ in Peru, die wohl strengste Ausgangssperre in Südamerika.

Ausruf des nationalen Notstandes am 16.03.2020

Peru hatte bereits bei 71 Infizierten die Grenzen geschlossen und niemanden mehr ohne Sondererlaubnis auf die Strassen gelassen.

Der peruanische Präsident Martín Vizcarra sitzt seitdem jeden Tag mit seinen Beratern zusammen und beschließt neue Verordnungen, die er mittags live bekannt gibt. Dabei gibt es auch immer eine Auflistung der neuesten Fallzahlen, die

trotz der strengen Maßnahmen immer

weiter ansteigen....


Heute ist der 76. Tag des peruanischen „Countdown“, man sollte vielleicht besser sagen „Count forward“, denn ein Ende ist noch in Sicht. Nach den ersten Lockerungen seit dem 10. Mai kamen täglich 6000 bis 7000 Neuerkrankungen dazu. Heute waren es die höchsten seit Beginn der Krise: 7368 Fälle. Peru zählt nun 155.671 Fälle, 66.447 Gesundete, 4.371 Tote.


Die am stärksten betroffenen Regionen sind das Ballungszentrum Perus, Lima und Callao, und einige Küstenstädte, während die Fälle in den Landregionen vergleichsweise langsam steigen. Die Schwierigkeit ist, das die zentralisierte Hauptstadt Lima als Mittelpunkt Perus eine eigene Welt und Politik hat, viele der Küstenstädte chaotisch und desorganisiert sind, wohingegen die ländliche Bergwelt, die Sierra, eine vergleichsweise ruhige Gangart hat. Diese drei Regionen unter einen Hut zu bringen stellt eine politische Herausforderung dar, und das nicht erst jetzt zu „Corona-Zeiten“. Man wird sich täglich bewusster über die Versäumnisse der letzten Jahre, insbesondere auch in Bezug auf das Gesundheitssystem.

Die hygienischen Verhältnisse und medizinische Versorgung, insbesondere auf dem Land, ist so schlecht, dass Peru schneller reagieren musste als besser entwickelte Länder.

 

Peru ist ein riesiges Land mit einer Gesamtfläche von 1.285.216 km² und einer Bevölkerungsdichte von 24 Einwohnern pro m2. Zum Vergleich: Deutschland hat 357.386 km² und 232 Einwohner pro m2. In Peru leben 32 Millionen Menschen, in Deutschland 83 Millionen...


Insgesamt verfügt Deutschland über 30.000 Intensivbetten. Peru zählte zu Beginn der Pandemie gerade mal 276 Intensivbetten für die Behandlung von Covid-19-Kranken, die aber mittlerweile auf 822 aufgestockt wurden. Allerdings befinden sich diese in Lima. Außerhalb gibt es zwar Intensivbetten, jedoch ohne die entsprechenden Geräte und ausgebildetes Personal zur adäquaten Behandlung von Covid-19-Fällen.


Zuerst durften nur die Bereiche weiterarbeiten, die Lebensmittel und Medikamente herstellen und lieferten sowie medizinische Einrichtungen, Apotheken, Banken, Unternehmen die die Wasserversorgung, Elektrizität und Gas sicherten. Tankstellen, der Bereich Telekommunikation, die Müllabfuhr und natürlich die Bestattungsunternehmen. Ebenfalls Mitarbeiter von Einzelhandelsgeschäften, Markthändler, Apotheken, Optiker, medizinischen Einrichtungen, Tankstellen und Banken sowie Journalisten. Alle anderen wurden „paralysiert“.

Der Staat versuchte zu helfen, indem er zuerst drei Millionen der Ärmsten 380 Soles (umgerechnet ca. 90 Euro) gab. Dabei handelte es sich um die Familien, die im Monat unter 328 Soles im Monat verdienen.

Mit der Erweiterung der Ausgangssperre bis zum 10. Mai gab es einen zweiten „Familienbono Universal“ von 760 Soles (ca. 210 Euro). Dies Geld soll den Familien zugute kommen, die auf keiner Gehaltsliste stehen oder aufgrund der Quarantäne kein Einkommen haben, ca. 75% der gesamten Haushalte im Land.


Viele Gelder kamen aber nicht bei den Menschen an, weil sie vor der Pandemie nicht als bedürftig registriert waren.

In den ländlichen Regionen werden von den örtlichen Regierungen sogenannte „Canastas“ verteilt, was genau übersetzt Körbe heißt, aber eigentlich Säcke mit Grundnahrungsmitteln bezeichnet. In vielen Orten haben die Schenkungen die Bewohner jedoch nie erreicht, zuständige Bürgermeister verteilten diese an eigene Familien und Freunde. Nichts Ungewöhnliches in Peru, leider. Es gibt aber auch gute Geschichten, z. B. las ich über den ehemaligen Bürgermeister von Pichari, der 33 Tonnen Kartoffeln an die Bewohner seines Bezirks spendete.

 

Unsere Nachbarin Loretta, eine Milchbäuerin, hat 5 Kühe, die täglich 25 Liter Milch geben sollten. Da die Milch weiterhin abgeholt wird, würde dies einen Tagesverdienst von 25 Soles für ihre 4 köpfige Familie bedeuten. Ihr Mann Tadeo ist von Beruf Taxifahrer, darf aber nicht fahren. Also fällt dieses Einkommen weg. Sie erzählten uns, das sie durch das Netz des staatlichen Hilfsprogramms fielen und nicht zu den Begünstigten gehörten, da sie zuvor nicht als bedürftig gemeldet waren. Sie baten uns um Hilfe und wir halfen gern.


Wenn ich an all die Straßenverkäufer und Bettler denke, die zuvor in den Strassen Dinge des täglichen Lebens verkauften, mit ein paar selbst geernteten Maiskolben oder Kaktusfrüchten auf den Bürgersteigen der Stadt sassen, um sich ein paar Soles am Tag zu verdienen, wo sind die alle hin? Wovon leben sie jetzt, was essen sie?

Wo sind die Alten und Behinderten, der blinde Gitarrenspieler, die täglich darauf hofften, das jemand ihnen eine Münze in den Hut legte? Was machen die venezolanischen Scheibenputzer, die jeden Tag an den Ampeln in der Stadt uneingeladen die Windschutzscheibe der Autos putzten und hofften, sie würden dafür vom Fahrer einen Sol in die Hand gedrückt bekommen?


Das einzig Gute ist, das die Kinder von ihren Eltern nun nicht mehr zum Bonbons oder Kaugummis verkaufen auf die Strassen und in die Restaurants geschickt werden können.


 

Die vielen informellen Firmen und Geschäfte, die nicht gemeldet sind und auch nie Steuern zahlen, fallen ebenfalls aus dem Netz raus. Das sind 70 % der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung, Der Staat hilft den formellen Firmen mit Geldern und Verschiebungen von Zahlungsterminen an den Staat.

Die anderen stehen Schlange an den Banken, um sich ihr "Notgeld" abzuholen.


Dabei gefährden sie sich mit einer möglichen Ansteckung...

Auch wenn die Regeln streng sind, Mundschutz und Handschuhe getragen werden müssen und der Abstand von einem Meter eingehalten wird, ist die Situation unhaltbar. Einige Straßenverkäufer sind derweil auf den Verkauf von Masken und Handschuhen umgestiegen, man bekommt ein Paar für ein Sol. Da die Menschen kein Geld haben, werden sie die Handschuhe immer wieder benutzen. Genauso wie den Mundschutz, der in den meisten Fällen weder den vorgegebenen Normen für Masken zum Schutz vor Covid-19 entsprechen noch richtig getragen, geschweige denn, gewaschen werden.


Mitschuld an den steigenden Fallzahlen tragen ebenfalls die zeitlichen Begrenzungen, zu denen man hier öffentliche Märkte besuchen darf. Bei uns öffnen sie nur noch drei Tage die Woche bis 14 Uhr, während montags und freitags nur Frauen und mittwochs nur die Männer einkaufen dürfen. Damit erreicht man genau das Gegenteil, das alle zur gleichen Zeit gehen. Anfang Mai berichtete die Zeitung "Gestion", das 10 Märkte in Lima als Infektionsquellen identifiziert wurden, weil die Schutzmaßnahmen nicht eingehalten wurden. 20% bis 40% der Händler waren infiziert.


Die Not zwingt die Menschen zu Ungehorsam!

Geschäfte, die normalerweise andere Dinge wie z. B. Plastikwaren und Haushaltsartikel verkaufen stellen nun unerlaubterweise Obst und Gemüsestande am Eingang ihrer Läden auf; in der Hoffnung, das jemand vielleicht einen Plastikeimer oder anderes mitnimmt, dessen Verkauf eigentlich verboten ist. Man sieht Türen von „Ferreterias“ (Eisenwarenhandel, Klempnerbedarf etc.) leicht offen stehen, ein Signal, das sagt: „Bitte kommt herein und kauft was!“






Draußen vor dem Haus fahren Motorradtaxis vorbei, „Pfirsiche, Weintrauben und Äpfel" werden über einen Lautsprecher feilgeboten, ebenfalls "Pescado" (Fisch) aus dem Kofferraum verkauf, und neuerdings sind auch „Papas“ (Kartoffeln) mit im Angebot. Beim nächsten Mal hupt die Brothupe aus dem vorbeifahrenden Taxi. In Peru gibt es für Waren unterschiedliche Geräusche, damit man schon aus der Ferne erkennt, was da kommt. Die Eishupe hört sich anders an, und auch der Eisenwarensammler hat seine eigene „Musik“.


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